Zeitpunkte erinnern
an Menschen, die in den Jahren der NS‑Herrschaft ermordet wurden
Die Großeltern der Familie Turteltaub wurden mit ihrer Enkelin Gita nach Riga deportiert und ermordet
für Wolf Meier Turteltaub
für Amalie Turteltaub
für Gita Scharf

Am 27. Jänner 2024 wurde dieser Zeitpunkt vor der Adresse Defreggerstraße 12 angebracht. Die Initiative dafür ging von erinnern:at aus.

Wolf Meier (Max) Turteltaub
geboren 30.11.1867 in Bohorodczany (Ukraine)
gestorben 1942 in Riga (Lettland)

Amalie Turteltaub, geb. Wolfart
geboren 8.1.1871 in Stanislau (Ukraine)
gestorben 1942 in Riga (Lettland)

Margit (Gita) Scharf
Geboren 12.2.1932 in Wörgl
gestorben 1942 in Riga (Lettland)

Wolf Meier Turteltaub und seine Frau Amalie Wolfart stammten aus dem österreichischen Teil Galiziens. Ende der 1890er Jahre übersiedelten sie nach Wien, 1903 nach Salzburg und Ende 1905 nach Innsbruck. Im Arbeiterbezirk Pradl erwarb Amalie im Jänner 1911 mit Schulden das Haus Defreggerstraße 12. Wolf Meier eröffnete dort das Warenkredithaus Fortuna. Das Paar hatte fünf Kinder, Sofie, das sechste Kind, starb im Alter von neun Monaten.

Tochter Anna war zwei Mal verheiratet. Aus den Ehen mit Leo Weinreb und Salomon Scharf stammten Erich bzw. Leopold und Margit (Gita). Da Anna schwer erkrankte und bereits 1934 starb, wuchsen die Kinder in der Wohnung der Großeltern auf.

Die Machtübernahme der NSDAP 1938 zerstörte in kürzester Zeit alle Lebensbereiche der Großfamilie Turteltaub. Das Geschäft in Innsbruck wurde beschmiert und boykottiert. In der Pogromnacht auf den 10. November 1938 misshandelte eine Schlägertruppe des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps den 70-jährigen Wolf Meier Turteltaub schwer. Sie verhafteten ihn, seinen Sohn Fritz, Enkel Aldo und weitere Verwandte, um sie einzuschüchtern und zum Verlassen Innsbrucks zu bewegen.

So blieb Wolf Meier und Amalie Turteltaub, ihrem Sohn Fritz und den Enkeln Erich, Leopold und Gita nichts anderes übrig, als nach Wien zu übersiedeln, in eine elende Zimmer-Küche-Wohnung in der Rembrandtstraße 28. „Schaut gut auf Innsbruck, wer weiß, ob ihr das noch einmal sehen werdet“, forderte Amalie Turteltaub ihre Enkelkinder auf.

In Wien liefen Wolf Meier Turteltaub und Erich jeden Tag von einem Konsulat zum anderen. Doch niemand wollte alte Menschen aufnehmen. Im April 1939 brachte der Großvater Erich und Leopold in einem Flüchtlingsschiff unter, das schließlich Haifa erreichte. Sein Sohn Fritz gelangte nach England. Die Großeltern und die sechsjährige Gita blieben in Wien. Bis Kriegsbeginn war es möglich, Briefe nach Palästina zu schicken. Amalie Turteltaub schrieb an ihren Enkel Erich:

„Liebes Kind, wie gerne möchten wir zu Euch kommen, aber leider hängt das nicht von unserem Wollen ab. Es bestehen momentan gar keine Aussichten für uns, es müsste tatsächlich nur ein Wunder geschehen.“ Und: „Erich, trachte, daß jemand die Gita anfordert, daß Sie zu Euch kommt. Sie sehnt sich schrecklich, fortwährend weint Sie und wenn ich frage, warum weinst Du, sagt Sie: Gromama, komm fahren wir zur Tante Ewa Erich Poldi Aldolo, ich will nicht so lange warten. Sie versteht nicht, Sie meint, man kann fahren, wie man will, aber ich sage Dir, es ist nicht zum Aushalten, gibt es gar keine Hilfe für uns“.

Ab September 1941 musste die Familie den Judenstern tragen. Am 26. Jänner 1942 wurden die 70 Jahre alte Amalie und der 74 Jahre alte Wolf Meier Turteltaub mit der zehnjährigen Gita von Wien, Aspangbahnhof, nach Riga deportiert. Von da an verliert sich jede Spur.

Ihr Sohn Edmund wurde 1944 mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im KZ Auschwitz ermordet, ihre Tochter Ella und deren Mann vermutlich im Vernichtungslager Sobibór, der Sohn des Paares in Auschwitz.

Quellen:

Achrainer, Martin/Niko Hofinger: Die Turteltaubs: Eine Großfamilie zwischen jüdischer Tradition und österreichischem Alltag, in: Thomas Albrich (Hg.), „Wir lebten wie sie…“. Jüdische Lebensgeschichten aus Tirol und Vorarlberg, Innsbruck 22000, S. 147-164. Schreiber, Horst/Irmgard Bibermann (Hg.): Von Innsbruck nach Israel. Der Lebensweg von Erich Weinreb / Abraham Gafni, Innsbruck-Wien-Bozen 22019.